Kokette Bescheidenheit

In einem Biwak, draußen und allein, wollte Reinhold Messner seinen 70. Geburtstag „feiern“, so jedenfalls ließ er es über die Medien verbreiten. Der weltberühmte und vermögende Bergsteiger, Abenteurer und Autor vieler Bücher gibt sich eben gern bescheiden. Was mitunter in Koketterie entgleitet. Zum Beispiel dann, wenn er über seine „ganz bescheidene (Politiker-)Rente“ spricht (ZDF, WISO, 15.9.2014). Auf den Tag genau fünf Jahre vom 20. Juli 1999 bis 19. Juli 2004 saß Reinhold Messner als Abgeordneter für die italienischen Grünen (Federazione dei Verdi) im Europaparlament, wobei ’sitzen‘ nicht allzu wörtlich genommen werden sollte.

Eine Rente von etwa 3000 Euro bezieht er nach eigenen Angaben, monatlich. Was ihm „so unwichtig“ ist, wie er beteuert, aber: „Das steht mir zu“ (ZDF, WISO, 15.9.2014). Zum Vergleich: Nach 45 Beitragsjahren und einem bundesweiten Durchschnittseinkommen darf der sprichwörtliche Eckrentner in den alten Bundesländern eine Rente zwischen 1266,30 Euro und 1287,45 Euro beanspruchen (Stand: Juli 2014, Focus Online, 23.9.2014).

Bis auf acht Sitzungstage in den Monaten Oktober bis Dezember 1999, von denen keine Anwesenheitslisten vorliegen, sind aus der Wahlperiode Messner 307 Sitzungstage mit Anwesenheitslisten dokumentiert. An 171 EU-Plenarsitzungen hat sich der Abgeordnete Messner in die Anwesenheitsliste eingetragen, an den restlichen 136 Sitzungstagen fehlt der Name Messner in den Anwesenheitslisten. Ergibt eine Fehlquote von über 44 Prozent der belegten Sitzungstage.

Bis Dezember 2000 bestand eine Sitzungswoche in Strasburg aus fünf Sitzungstagen. Weil an den Freitagen kaum Abgeordnete an den Sitzungen teilnahmen, bis auf zwei Ausnahmen war auch der Abgeordnete Messner kein Freund von Freitagspräsenz, wurden die Sitzungswochen in Strasburg ab Januar 2001 kurzerhand auf vier Sitzungstage gekürzt. Aber auch die viertägigen Sitzungswochen waren nicht nach Messners Abgeordneten-Geschmack. In den Jahren 2001 bis zum Wahlperiodenschluss im Mai 2004 fand er an genau vier Montagen den Weg zu seinem Abgeordnetenplatz im Strasburger EU-Parlament.

In Brüssel fielen die jeweils zwei Sitzungstage pro Monat in der Regel auf einen Mittwoch und den darauffolgenden Donnerstag. Was dem Abgeordneten Messner offenbar aber auch nicht sonderlich behagte. Von den insgesamt dreizehn Sitzungstagen im Jahr 2002 nahm er dort gerade mal an drei Plenarsitzungen teil.

Das Protokoll verzeichnet weiterhin: Mitgliedschaft im Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr sowie im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik, stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Teilnehmer der Delegation für die Beziehungen zu den Ländern Südasiens und der Südasiatischen Vereinigung für Regionale Kooperation (SAARC). Dokumentiert sind außerdem 20 Wortmeldungen im Plenum sowie die Beteiligung an 47 Entschließungsanträgen und 39 parlamentarischen Anfragen.

Der zeitliche Aufwand ist im einzelnen nicht zu ermitteln. Ohne Sitzungsgelder, Reisespesen und sonstige Privilegien bezog ein EU-Abgeordneter wie Messner zum Ende seiner Wahlperiode 9053 Euro im Monat (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, Prof. Hans Herbert von Arnim, 9. – 17.1.2004). Einschließlich steuerfreier Kostenpauschalen, steuerfreien Tagegeldern auch für „Brückentage“ und „freie Freitage“ sowie einer Mitarbeitervergütung von bis zu 12 305 Euro kamen EU-Abgeordnete locker auf 20 000 Euro im Monat, wie Prof. von Arnim seinerzeit vorrechnete.

Genaue Angaben über die Höhe der Diäten der Europaparlamentarier waren und sind kaum möglich. Das Vergütungssystem glich und gleicht dichten Nebelschwaden in einer Moorlandschaft. Fest steht allenthalben, EU-Parlamentarier halten weltweit mit Abstand den Spitzenplatz auf der Diätenleiter. Laut einer Studie, die Petra Tang (Netz.Trends, 22.5.2014) veröffentlichte, kassiert ein EU-Abgeordneter heute 213 924 Euro pro Jahr, was sich innerhalb einer Wahlperiode auf rund 1,07 Mio. Euro summiert. Einkommensmillionäre nach fünf Jahren. Bei der Möglichkeit, unbegrenzt Nebentätigkeiten nachzugehen und Nebenverdienste in unbegrenzter Höhe zu erwirtschaften.

Ohne die Ernsthaftigkeit seiner politischen Ambitionen pauschal in Frage zu stellen, Zweifel scheinen angebracht. Von den unbegrenzten Nebentätigkeiten und Nebenverdiensten hat der EU-Parlamentarier Messner regen Gebrauch gemacht. Laut eigenem Messner Mountain Museum absolvierte Reinhold Messner neben seinem Abgeordnetenleben ein pralles Pensum:

1999 – Filmarbeit: San-Francisco-Peaks/USA (heiliger Berg der Navajo); Reise in die Wüste Thar/Indien
2000 – Überquerung von South Georgia auf der Shackleton-Route; Nanga-Parbat-Expedition; Filmarbeit am Fuji/Japan für die ZDF-Serie „Wohnungen der Götter“
2001 – Dharamsala und Ausläufer des Himalaya/Indien; ZDF-Serie „Wohnungen der Götter“ am Gunung Agung/Bali
2002 – Im „Internationalen Jahr der Berge“ Besuch von Bergvölkern in den Anden und Besteigung des Cotopaxi (5897 m), Ecuador
2003 – Trekking zum Mount Everest (Jubiläumstreffen zum fünfzigsten Jahrestag der Erstbesteigung); Reise nach Franz-Josef-Land/Arktis; am 1. Oktober Eröffnung der „Günther Mountain School“ im Diamir Tal am Nanga Parbat/Pakista

Damit aber nicht genug, die Liste seiner parallel erstellten Veröffentlichungen ist länger:

•    Mallorys Zweiter Tod. BLV, München 1999, ISBN 3-405-15840-0.
•    Eugen Guido Lammer. Steiger, München, Hrsg., 1999.
•    Annapurna. BLV, München 2000, ISBN 3-405-15769-2.
•    Die großen Wände. BLV, München 2000, ISBN 3-405-15981-4.
•    Bergvölker. BLV, München 2001, ISBN 3-405-16206-8.
•    Reinhold Messners Philosophie. Hrsg. von Volker Caysa und Wilhelm Schmid, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-12242-8.
•    Rettet die Alpen. Piper, München 2002, ISBN 3-492-23557-3.
•    Der nackte Berg – Nanga Parbat – Bruder, Tod und Einsamkeit. Malik, München 2002, ISBN 3-89029-211-9.
•    Dolomiten – Die schönsten Berge der Welt. C.J. Bucher, München 2002, ISBN 3-7658-1312-5.
•    Berge. Herbig, München 2002, ISBN 3-7766-2281-4.
•    Vertical – 100 Jahre Kletterkunst. BLV, München 2002.
•    Everest – Himmel, Hölle, Himalaja. Vortrag, AUDIOBUCH Verlag, Freiburg 2002, ISBN 3-933199-87-5
•    Mallorys zweiter Tod – Das Everest Rätsel und die Antwort. Piper, München 2002.
•    Die weiße Einsamkeit – Mein langer Weg zum Nanga Parbat. Malik, München 2003, ISBN 3-492-24186-7.
•    K2 Chogori – Der Große Berg. Frederking & Thaler, München 2004, ISBN 3-89405-629-0.
•    König Ortler. BLV, München 2004.
•    Reinhold Messner – Mein Leben am Limit zusammen mit Thomas Hüetlin. Malik, München 2004, ISBN 3-89029-285-2.
•    Nanga Parbat – Der Schicksalsberg. Vortrag, AUDIOBUCH Verlag, Freiburg 2004, ISBN 3-89964-076-4

Hinzu kommen vermutlich zahlreiche Vorträge, deren Messner sich gerne rühmt. Der Glanz von Messners europäisch-parlamentarischen Engagements scheint selbst manche Kolleginnen und Kollegen nicht gerade geblendet zu haben. Nach Ablauf seiner ersten Wahlperiode wollte er von den Federazione dei Verdi zu den bayerischen Grünen wechseln und erneut kandidieren. Was fehlschlug. Er wurde als Kandidat nicht akzeptiert.

„Fundamentalismus jeder Art“, auch der des Autors dieses Textes, sei ihm zuwider, schreibt Reinhold Messner und betont, er sei parteilos, den Listenplatz hätten ihm die italienischen Grünen seinerzeit angeboten, seinen Wahlkampf habe er aber selbst finanziert. Die Frage, ob er glaube, wegen seines Namens oder wegen seiner politischen Überzeugung ins EU-Parlament gewählt worden zu sein, beantwortet er: „Ich bleibe ein liberal/grüner Denker und vor allem ein Praktiker.“

Seine Fehltage in Strasburg und Brüssel erklärt Messner ebenso ausweichend. Eine „komplexe Anreise“ sei dafür verantwortlich gewesen sowie zahlreiche Auftritte, Recherchen und Projekte. Außerdem habe er „zynisch gesagt“ auch keine Schäden wie Überbürokratisierung anrichten können. Er sei für Europa im Parlament gewesen, nicht für ein Land und nicht für eine Partei. Die Arbeit eines Parlamentariers finde größtenteils außerhalb der Sitzungsräume statt. Man müsse seine „Akte“ anders lesen, dann seien die Resultate auch nicht zu übersehen.

Zu den Gründen seiner gescheiterten Kandidatur bei den bayerischen Grünen zählt er ein neues, nicht näher bezeichnetes Projekt, was dazu geführt habe, dass er zwei Angebote auf einen Listenplatz nicht mehr verfolgt habe. Von seinen vielen Veröffentlichungen während seiner Zeit als EU-Parlamentarier seien einige ebenso „politischer Natur“ wie auch einige seiner Reisen zwischen 1999 und 2004. Überdies habe er damit auch „aus eigener Tasche“ Entwicklungshilfe geleistet.

Auf seine Rentenansprüche aus seiner fünfjährigen Parlamentszeit angesprochen, rückt Messner von seinen Äußerungen in der WISO-Sendung vom September 2014 merklich ab. Seine Rente setze sich aus „festgelegten Sätzen (I/EU)“ zusammen sowie Rentenansprüchen „aus früheren und späteren Einzahlungen in Kassen“ und „gekauften Rentenpapieren“. Dazu zahle er auf sein Einkommen „bis heute“ Steuern und Rentenversicherung, wie er offensichtlich stolz hinzufügt.

3000 Euro lebenslange monatliche Rente für eine Arbeitsleistung von 171 Teilnahmen an Sitzungen des EU-Parlaments in fünf Jahren, lediglich gemessen an einer selbst bescheinigten Anwesenheit, wobei offen bleibt, wann die Anwesenheit begann und wann sie endete, selbst wohlwollend gerechnet kommt der einstige EU-Parlamentarier damit nicht einmal auf ein einziges Jahresarbeitssoll eines durchschnittlichen Arbeitnehmers. Auch wer 1999 für den liberal/grünen Volksvertreter Reinhold Messner gestimmt hat, dem muss dessen Bescheidenheit als verhöhnende Koketterie vorkommen. Was sollen die empfinden, die ihn nicht mal gewählt haben?

Lesen Sie dazu auch meinen Kommentar „Mit Mandat im Gepäck zur Spitzenrente – Reinhold Messners lukrativer Aufstieg ins Parlament“ auf http://www.budziak.de/reflex_thema_politik.html#messner

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Editorial

Ob Schwein oder Reporter, was eint sie, wenn sie nach Trüffel suchen? Sie wühlen, kehren das Unterste nach oben, haben einen Riecher für Erlesenes. Über allem: Sie folgen ihrem Instinkt. Ihrer Spürnase. Sie sind unbeirrbar, unbestechlich. Auf der Suche nach dem Besonderen. Nach Wahrheit.

Diesem Anspruch wollen die nachfolgenden Beiträge gerecht werden. Ihre Inhalte sind verantwortungsvoll recherchiert. Sie mögen informieren und Pfeiler markieren, an denen wir unsere Bewertung der Gesellschaft und der Welt ausrichten, in der wir leben.

Alles hängt mit allem zusammen. Wenn Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, eine einzige Facette Ihres Daseins auch nur einen Funken klarer geworden ist, war die Lektüre vielleicht die Zeit wert, die Sie damit zugebracht haben.

Ich wünsche Ihnen viel Erkenntnis. Und die treffenden, vielleicht verbessernden Konsequenzen daraus.

Ihr Walter Budziak

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